More than words - Der Blog
Vertraue der Kraft der Worte! In diesem Blog erzähle ich über meine Arbeit als Journalist und Autor zwischen Kultur, Medien und Kommunikation.
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19.05.2022
Das ist jawohl voll das Klischee!
Wir haben’s doch schon immer gewusst: Der vom Leben enttäuschte Bösewicht residiert in einem dunklen Schloss auf einer einsamen Anhöhe, das nach dem mysteriösen Verschwinden einer Wandergruppe vom Sauerländischen Gebirgsverein kein Sterblicher mehr aufzusuchen gewagt hat.
Dort sitzt er meist an einem tonnenschweren Eichentisch und sinniert mit einem Glas Bourbon-Whiskey in der rechten und einer Perserkatze in der linken Hand über die nächsten Rachepläne, während im Hintergrund Wagners „Götterdämmerung“ den Raum erfüllt. Seine Augen verengt er stets zu düsteren Schlitzen, in triumphnahen Momenten bilden seine Mundwinkel ein dämonisches Grinsen, das Jack Nicholson nicht besser hinbekommen hätte.
Seine Lieblingsserie heißt „Die Gummibärenbande“, zum Nachtisch isst er gern Erdbeerquarkspeise, und wenn er mit dem E-Scooter zum nächsten Auftrag düst, trägt er Knie- und Ellenbogenschoner und einen Rucksack mit genügend Proviant, darunter eine Milchschnitte, zwei Leberwurstbrote mit Gürkchen und eine Flasche Almdudler.
Wer Geschichten liest, wird immer wieder auf Klischees treffen:
Und nun standen sie dort in einer Zweisamkeit, die nur an diesem Ort ihre Vollendung entfalten konnte, und betrachteten die tiefstehende Sonne, die weit draußen am Horizont unterzugehen bereit war.
Wer sie schreibt, wird in Versuchung geraten, sie bewusst oder unbewusst einfließen zu lassen. Klischees sind ein gängiges Stilmittel, um Figuren zu charakterisieren, Orte zu visualisieren oder Handlungen in Gang zu setzen. Sie haben einen hohen Wiedererkennungswert, sind oft aber stereotyp, trivial und wenig kreativ. Nicht umsonst steht das Klischee mit der „Schablone“ in Verbindung, mit der sich vorgefertigte Produkte bilden lassen, ohne selbst nachdenken zu müssen.
Im Bookerflyclub tauchte kürzlich die Frage auf, was wir über Klischees in Geschichten denken. Es kommt darauf an, wie man als Autor damit umgeht – zum Beispiel, ob man sie konsequent anwendet oder sie aus Einfallslosigkeit zutage treten.
In meinen Texten spiele ich gern mit Klischees. Ich mag es, sie zu parodieren. Sie kennen das aus den Telenovelas und Daily Soaps der Marke „Stürmische Herzen im roten Meer der Liebe“. Dort funktioniert jede zweite Folge nach diesem Schema:
Carla erfährt von David, dass Bruno beschlossen hat, die neue Modekollektion in Paris zu präsentieren, während Maximilian ganz unerwartet Richard gesteht, den Brief von Jenny an Tom gefälscht zu haben. Jenny ist das egal, denn sie hatte mittlerweile einen One-Night-Stand mit Rafael und glaubt, dass dieser nicht ohne Konsequenzen bleiben wird. Axel bezweifelt das, denn er war selbst mal mit Rafael ... aber das ist schon lange her.
Ich mag es, sie aufzubauen und dann zu brechen – so wie zu Beginn dieses Blogeintrags. Kreativ werden Klischees eingesetzt, wenn man sie hinterfragt, variiert oder sich von ihnen entfernt, indem man die Perspektive wechselt oder sich auf ihr Gegenteil konzentriert. Das kann in Geschichten zu Absurdität führen, aber wie heißt es immer: „Ein bisschen verrückt ist völlig normal.“
Damit unsere Geschichte nicht mit den Worten endet:
Sie waren angekommen. Jetzt und hier. An einem Ort, an dem die Freiheit nicht nur über den Wolken grenzenlos war.
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